Dienstag, 26. März 2013

suu lüt als wi der tod.

zwischen mir und swans sind zwei neongelbe stücke schaumstoff, hersteller 3m.

ausgerechnet heute habe ich meinen guten gehörschutz, den vom hörgeräteakustiker, zuhause vergessen und muss zur bereitgestellten oropax-variante greifen, die - der schweizerischen schall- und laserverordnung entsprechend - an diversen orten der kaserne angeboten wird. "du muscht die uunbedingt  tragen", sagt ein typ mit bart und drängendem blick zu mir, als ich an der theke in die box mit dem gehörschutz greife. "das isch suu lüt als wi der tod!"

und das ist es - nicht, dass ich weiß, wie der tod klingt, gehörschutz oder kein gehörschutz. meine kleidung vibriert am körper. mein körper vibriert. meine organe vibrieren. ich frage mich, ob schallwellen am gaumenzäpfchen brechreiz verursachen können. dann frage ich mich nichts mehr.

swans sind keine band, swans machen keine musik.

ich war gewarnt worden, und zwar nicht nur von dem typen mit dem bart und dem drängenden blick an der theke, sondern von allen meinen freunden, die swans schon erlebt haben. ich hatte mich darauf geistig eingestellt, davor angst gehabt, mich vor allem aber darauf gefreut. ich war trotzdem nicht vorbereitet.

swans sind klang. brachialer, drohender, ekstatischer klang, der alles umfasst, der alles auslöscht, um neues zu kreiren. die regeln, nach denen musik in unserem kulturkreis eigentlich funktioniert, funktionieren soll, haben swans hinter sich gelassen. der klang, den sie produzieren, wird von worten wie "song" oder "lied" nicht erfasst. der klang, den sie machen, den sie verursachen, dauert fünfzehn minuten oder dreißig oder mehr, ich weiß es nicht, ich schaue auf keine uhr. dieser klang hat keine strophen, keinen refrain, kaum wiedererkennbares, kaum text, nichts, an dem man sich festhalten kann. dieser klang bricht über einen herein und reißt einem die beine weg und das herz heraus.

basslinien, so schwer wie vorschlaghämmer, dampfwalzen, gestrandete wale, auf riffen aufgelaufene öltanker. mit bögen angespielte vibraphontasten, hoch, beißend, verführerisch. rhythmen auf rohren, die klingen wie glocken. und gitarren, gitarren, gitarren. gitarrenwände bauen sich auf, gitarrenwellen rollen über mich hernieder. dieser klang umfängt mich.

denn swans sind gefühl. ich stehe einige meter vor der bühne, schön mittig, und auch durch die beiden kleinen stücke neongelben schaumstoff überwältigt mich all dieses gefühl, dass sie mit diesem klang vermitteln. ich suche bilder. vielleicht ist es, wie beim parabelflug, nur außen ans flugzeug gebunden, am flügel, direkt neben der turbine, und zwar nur mit festhalten. oder auf einer pyramide, irgendwo in einem urwald, wo etwas lebendes geopfert wird, man selbst, natürlich, und teile davon die pyramide heruntergeworfen werden.

und swans sind wie religion. michael gira ist ihr hohepriester, schamane, vollstrecker, dirigent. die strähnigen grauen haare hängen in seinem gesicht, er zwingt die gitarre zu wahnsinnigen lauten, singt gutturale töne und textzeilen in sein mikrofon, sein speichel spritzt, leuchtet im hellen bühnenlicht. die wenigen texte hat er ausgedruckt, 48pt arial bold, laminiert, sie stehen auf einem notenständer. "i'm a coward", raunt er ins mikrofon vor dem tonnenschweren chaos der musik. "put your knife in me. put your knife in me. put your knife in me."

zur rechten der bühne stehen gitarrist norman westberg und bassist chris pravdica, in der mitte hinten steht drummer phil puleo hinter seinem set, links von ihm perkussionist und multi-instrumentalist thor harris, der genau so aussieht wie sein vorname und nach zwanzig minuten mit freiem, gut behaarten oberkörper auf seine instrumente eindrischt. und vorne links schließlich kristof hahn, der deutsche slide-gitarrist. er sieht aus, als sei er django unchained entsprungen, und reizt, quält die vor ihm liegenden gitarren mit sadistischem blick.

im kreis dieser seiner musiker bewegt sich gira wie ein eingesperrtes tier, schreit sie an, fordert sie mit blicken, mit gebellten kommandos zu höchstleistungen, und sie gehorchen, natürlich, eine wahl haben sie nicht. nach anderthalb stunden wird mir klar, dass ich mich nicht wundern würde, wenn gira gleich ein kaninchen aus einem gitarrenkoffer ziehen und es blutspritzend opferte. ich frage mich, was ich tun würde, wenn er kein kaninchen, sondern eine waffe zöge, welche waffe es wohl wäre, was passieren würde, bei einer schießerei, einem massaker im rossstall der kaserne. ich stelle mir das vor, aber ich habe keine angst. alles ist gut.

ich begreife: das ist eigentlich gar kein konzert. ich bin in einer messe. wir sind keine zuschauer, wir sind betende - auf der suche nach erlösung. die vielen männer so vieler unterschiedlicher szenen, die metalheads, gitarren-freaks, die gealterten goths, die paar hipster und die wenigen frauen, meist typ neo-hippie, sie praktizieren headbangen als das gebet des körpers.

ich greife zu meinen ohren und nehme die kleinen neongelben stücke schaumstoff, hersteller 3m, heraus.