Montag, 3. Dezember 2012

schreibt doch mal was über obdachlose.

"mich würde mal interessieren, was für eine geschichte hinter den (vorallem sehr jungen) obdachlosen der stadt steht? wie sind sie in diese situation gekommen?"

"mein vorschlag: ich fände ein portrait von freiburgs straßenkünstlern/musikern bzw. obdachlosen sehr interessant. es gibt doch einige, die man schon seit jahren immer wieder an den gleichen stellen sitzen sieht. gerne würde ich mehr über diese menschen erfahren (falls sie überhaupt bereit sind auskunft zu geben), wie es denn dazu kam, dass sie auf der straße gelandet sind, welche kniffs und tricks sie auf der straße gelernt haben, wo sie den winter verbringen + ist freiburg tolerant gegenüber bettlern?.... und weitere fragen würden mich interssieren. ich könnte mir zudem vorstellen, dass ein solcher bericht die akzeptanz und die spendebereitschaft der menschen verbessern könnte."

"bei der katholischen hochschule ist sozusagen ein sehr netter obdachloser „heimisch“. seine geschichte(n) sind sicher sehr interessant :) "

"einen bericht über obdachlose. wie kam es zu der obdachlosigkeit? warum kommt man nicht zurück in ein normales soziales umfeld? wie kann man helfen?"

"ich fände es interessant mal einen bericht über die menschen zu lesen, die im freiburger stadtbild nicht mehr wegzudenken sind, die man immer wieder trifft, ohne jemals mit ihnen zu sprechen. ich glaube wir kennen alle den mann mit den wilden locken, der sich meist beim burger king aufhält, aber haben wir uns jemals gefragt, was seine geschichte ist, wie er sein leben erlebt. ich weiß nicht, vielleicht ist es auch diskriminierend, so was öffentlich zu diskutieren, also die leute konkret schon als "gruppe" für einen bericht  herauszusuchen, weil man meinen könnte, dass es sich in jedem fall um obdachlose handeln muss, aber wissen wir das?"

"ihr berichtet ja schon immer wieder mal über die obdachlosensituation in freiburg. fände es aber interessant vielleicht mal ein interview zu lesen. am besten wohl anonymisiert."

"der 1., etwas kuriose vorschlag bezieht sich auf den einsamen, meist stillen und frierenden herren, der jeden tag und den ganzen tag barfuß im bermuda-dreieck verbringt (auch im winter), mit einer flasche wein oder ähnlichem, im schneidersitz auf dem boden sitzend „meditiert“ und die ganze zeit nur in die luft starrt. mich, und ganz sicher auch viele andere würde auf jeden fall interessieren: was hat der arme kerl erlebt? wieso verbringt er jeden tag auf der straße? kann das fudder-team oder die stadt freiburg ihm nicht irgendwie helfen?"


das sind emails unserer nutzer, nachdem wir sie gefragt hatten, worüber wir dringend mal berichten sollten.

"schreibt doch mal was über obdachlose": unser unlustigstster redaktions-running-gag. jeder potentielle freie mitarbeiter, jede praktikantin, jede/r bei uns arbeitene/r studierende schlägt das thema vor, und mich macht das wütend, traurig, irgendwas. das liegt nicht daran, dass ich die geschichten von menschen, die wohnungslos und arm/abhängig/psychisch krank sind, für nicht erzählens- und beachtenswert erachte, im gegenteil.

(wenige geschichten haben mich so sehr geärgert, wie diese grausige weihnachtsreportage in der zeit vergangenen winter, die keine reale armut zeigte, sondern das armutsspiel einer schauspielerin und eines redakteurs. classist und unnötig - warum nicht betroffene selbst erzählen lassen?)

mich machen diese vorschläge so wütend, traurig irgendwas, weil ich glaube, dass hinter ihnen voyeurismus steckt, eingehüllt, mehr schlecht als recht, in soziale irgendwas gefühle. dahinter steckt die sehnsucht danach, in diesen geschichten etwas zu entdecken, das beruhigt: "mir könnte das nicht passieren." as if. es fehlt an respekt für den wohnungslosen menschen, der in dieser unserer stadt ohnehin keinen rückzugsraum hat, sein leben in der öffentlichkeit verbringt, intimste handlungen nur dürftig geschützt ausüben kann. komm, machen wir die lebensgeschichten von männern und frauen, die in der öffentlichkeit leben, auch öffentlich, haben ja fast nichts mehr zu verlieren, diese menschen.  auf den gedanken, dass diese männer und frauen möglicherweise nicht mitmachen wollen könnten, ihre geschichte nicht erzählen will, darauf kommen die allermeisten, die sie machen oder lesen wollen, nicht.

warum ich glaube, dass es nur voyeurismus ist, und keine tatsächliche sorge, kein ernsthaftes interesse? wenn man jemanden dauernd sieht, und sich gedanken über ihn oder sie macht, warum fragt man dann nicht einfach, wie es ihm oder ihr geht, ob er oder sie etwas braucht, warum tritt man nicht in kontakt, sondern verlagert diese aufgabe ins aussen? warum ändert man nicht etwas? du, journalist, befriedige meine neugier. erzähl mir geschichten über menschen, die off the deep end gegangen sind, wo ich nie hin will, damit ich an ihnen erschauere. schau her, leser, ich rede mit diesen menschen, die so anders sind als wir.

dazu kommt: lebensgeschichten sind nicht actionable. aus ihnen können nur selten klare forderungen für die allgemeinheit abgeleitet werden - und das ist ja das, was eigentlich notwendig ist, wenn man nicht will, das menschen auf der straße leben. wäre unsere gesellschaft mitfühlender, flexibler, akzeptierender, umsorgender, würde sie bessere gesundheitsvorsorge und psychiatrische hilfe bieten, wäre er nicht so kalt, unser kumpel der kapitalismus, ich hoffe, nein, glaube, dass weniger menschen auf der straße leben würden. und die geschichten sollte man schreiben. nicht die voyeuristischen, romantisierenden, über den "netten", "meditierenden" obdachlosen "mit der weinflasche", oder über die straßenmusiker, sind ja quasi auch obdachlos. oh süße berber-romantik.

[und ja. der mann mit den locken, über den unsere nutzer gerne mehr wissen wollen, der mit der weinflasche, der "meditiert", das ist d., den ich vor vielen jahren, vor seiner krankheit mal kannte, und über den ich (ha, schreib doch mal was über obdachlose!) gebloggt habe, dieses jahr. was genau so falsch ist, logisch. ich hab's auch nicht drauf, offensichtlich.]

 [fußnote: qed.]