Mittwoch, 22. Dezember 2010

leo.

leo kam mir alt vor. dabei war er vor zwanzig jahren, als er mir in seinem laden ab und an saure gurken für eine mark verkaufte (am liebsten nur rote und grüne), gerade anfang vierzig, jünger als r. heute. aber schon als kind versteht man, welche erwachsenen nicht so viel plan vom leben haben. diese menschen wirken verstörend, und entweder wie kinder, oder wie unbestimmt alt. bei leo war letzteres der fall. er war einer dieser männer, die in seltsam hasserfüllter symbiose mit ihren kittelkleidtragenden, immer meckernden, aggressiv mütterlichen müttern zusammenleben, weil die väter weg sind. leos toter vater hatte im vorraus für ihn mitgearbeitet, einen handwerksbetrieb aufgebaut, und so musste er das nicht wirklich tun. seine daraus resultierenden gefühle der minderwertigkeit und frustration an der welt lebte leo gerne an seinen kunden und seinen mietern aus. die haare immer ein bisschen wirr, immer hektisch, unsicher, selten wirklich lachend, immer so sehr bemüht, so war leo. als kind fand ich ihn creepy. irgendwann hatte ich mitleid. leo hat sich in dieser woche erschossen. auf den tag vierzig jahre, nachdem sein vater es ihm vorgemacht hat, übrigens. vorher hat leo noch abschiedspostkarten geschrieben: 'nie aufgeben' soll darauf gestanden haben. ach, leo. ich wünschte, du hättest nie aufgegeben. ich wünschte du hättest einen weg gefunden, irgendwie glücklich zu sein.