Montag, 13. August 2007

same procedure as every year.

donnerstag abend fiel mir auf, dass schon wieder august ist, mitte august, und wie jedes jahr musste ich nachgucken, an welchem tag genau du gestorben bist. ich kann mir das datum einfach nicht merken, das konnte ich nie, und trotzdem habe ich in jedem jahr rechtzeitig an dich gedacht. zwei jahre nachdem du gestorben warst, stand ich frierend vor dem haus im christchurch, schaute hoch zum southern cross, dachte an diese eine stelle aus dem kleinen prinzen, die bei jeder beerdigung von kindern und jugendlichen vorgelesen wird, bei deiner beerdigung machte das andrea, und bemerkte, welcher tag war.

in jedem sommer muss ich nachgucken, an welchem tag du gestorben bist, denn auch wenn ich mich nicht an das datum erinnere: an den wochentag erinnere ich mich, natürlich, denn du bist an einem samstag gestorben, an einem samstag, an dem wir noch einmal für ein wochenende nach b. fahren wollten, zusammen. andrea, thorsten, tim, andreas, ich und du.
wir sind losgefahren, ohne dich. du würdest noch schlafen, meinten deine eltern beim ersten anruf, nachdem andrea und ich eine stunde vergeblich auf dich gewartet hatten. du seist krank und in ärztlicher behandlung, sagten sie beim zweiten telefonat. beim dritten anruf meinten, sie, dass ganze würde noch länger dauern, wir sollten doch ruhig ohne dich fahren. das taten wir, und während wir auf der a45 gen süden fuhren, lief dieser flinstones song der b52s im autoradio.

ein paar stunden später, wir hatten in lennestadt pizza gegessen und die ersten paar biere getrunken, rief ich noch einmal bei dir an und deine mutter sagte "stefan ist von uns gegangen". ich habe gelacht und den telefonhörer fallen gelassen und mich gefühlt wie im film. in der nacht habe ich mich betrunken, mit hausgemachten sauren paul, hab mit einem fuss auf dem küchentisch der jugendherberge gestanden und "oh captain, mein captain" exklamiert und später zivi thomas geknutscht, an die spülmaschine gelehnt. helpless attempts at feeling alive.
die nächsten tage sind in meiner erinnerung ein blur aus weinen, zahnschmerzen, schmerzmitteln und einer autofahrt mit t. in dem auto, das er auch heute noch fährt.

am darauffolgenden donnerstag wurdest du beerdigt. es war ts geburtstag, und nicht nur deswegen denke ich immer auch an ihn, wenn ich an dich denke.

anfang mai, am letzten abend, an dem er und ich zusammen waren, haben wir über dich geredet. ich weiss nicht mehr, wer von dir angefangen hat; wir haben an dem abend viel über den tod geredet und über kranksein und sterben und es seltsam, nach all den jahren, in denen ich alleine an dich gedacht habe, im august und sonst manchmal auch, von jemand anderem zuhören, wie das war, für ihn, als du gestorben bist, und an was er sich erinnert. es war ein zerbrechlicher moment.

t hat von seinen erinnerungen an deine anfälle erzählt, wie das bett gewackelt hat, dabei, und dass es nicht so war, wie ein einfacher epileptischer anfall. wir haben von deiner panik vor dem leben und dem druck, unter dem du gestanden hast geredet, und wie painfully shy du warst, und darüber, dass niemand dir wirklich nah gekommen ist.
ich habe ihm von meiner vollkommen irrationalen wut auf deine mutter erzählt, wie ich ihr nach deiner beerdigung, beim kaffee, am liebsten an die kehle gesprungen wäre. und während wir so redeten, da habe ich gemerkt, dass t sich, genau wie ich, seine erinnerungen schön passend zurecht gelegt hat damit sie ein stimmiges großes ganzes ergeben.

"ich frage mich immer noch, ob er sich nicht umgebracht hat", hat t irgendwann gesagt, ein satz wie das wegziehen eines vorhangs vor meinen augen. vielleicht hast du das wirklich gemacht. im nächsten moment habe ich ihm gegenüber dagegen argumentiert, klar, und vorgerechnet, wieviel besser es dir ging, und wie ausgeglichen du warst, im august, und überhaupt. aber seitdem schiebe ich diese idee in meinem kopf hin und her, und sie passt so gut zu all den alten puzzleteilen des sommers.

ich weiss nicht, was wirklich passiert ist, und ich werde es nie wissen. und eigentlich ist es auch egal, so spielt das leben, so ist es eben, und du wirst immer neunzehn sein, mein kumpel aus teenagerzeiten, der gestorben ist, egal wie, und ich werde nie wissen, wie du jetzt wärst, mit 32, und ob du glücklich wärst und wir noch befreundet.

schade. verdammt schade.


1994.